Harry: "Also Chris, die Sache vom Dienstag,
die haben uns doch verarscht. Ich habe mit der Agentur gesprochen.
Die haben uns auf der ganzen Linie verarscht. Ich rufe jetzt jeden
an, der dabei war. Es tut mir leid, dass ich euch da reingezogen
habe."
Chris: "Ist nicht so schlimm. Ich habe die
halbe Nacht über die kuriose Geschichte gelacht. Schade, dass nicht
mehr dahinter ist."
Harry, erstaunt, dass ich das so
locker nehme:
"So wie du sieht das nicht jeder. Wer weiß denn,
was die mit dem Filmmaterial anstellen? Es gibt welche, die sind so
empört, dass sie aus dem Club austreten wollen. Nicht auszudenken,
wenn sich der Quatsch herumspricht. Der mögliche Schaden für unseren
Club ist noch gar nicht absehbar."
Chris: "Was hast du denn über die Agentur in
Erfahrung gebracht?"
Harry: "Das sind Amerikaner, die ziehen hier
herum und verarschen die Leute. Vielleicht aus Langeweile. Die
gucken sich dann die Bänder an und lachen sich halb tot über unsere
Gutgläubigkeit."
Chris: "Wie ich dich kenne, lässt du es nicht
so weit kommen."
Harry: "Da kannst du Gift drauf nehmen. Ich
werde mich nächsten Donnerstag mit diesem Wolf von der ominösen
Agentur treffen und da verlange ich die Bänder zurück und eine
Entschädigung für uns. Schließlich sind der Heinz, die Ute und die
Margot gekommen, obwohl sie Zeitschwierigkeiten hatten. So kann
keiner mit uns umspringen, sooo nicht."
Karfreitag, 14.4.
Anruf von Kira Kaplan.
Kira K., so mein derzeitiger
Wissensstand, ist eine Studentin, die einige unserer Clubmitglieder,
unter anderen Harry und mich, zum Thema "Senioren und Internet" um
Auskünfte gebeten hat. Wir helfen den jungen Leuten gern weiter. Das
haben wir bereits des Öfteren getan. Mit Kira Kaplan war es aber von
Anfang an etwas Besonderes. Ihr Ansatz war auffällig ein anderer,
eigenwilligerer und interessanterer. Aber darum geht es jetzt nicht,
nur darum, dass sie mir/uns keine Unbekannte ist.
Kira: "Hallo, Frau Resties!"
Chris, erstaunt: "Hallo"
Kira: "Was sagen Sie denn zu
Dienstag?"
Chris: "Wie kommen Sie auf
Dienstag?"
In diesem Moment habe ich eine ungewisse Ahnung,
wer hinter dem Streich stecken könnte. Ich weiß von unserem
Clubmitglied Thea G., dass Kira nach einem originellen Weg sucht,
sich für alle Hilfe, besonders die von Harry Wenzel, zu bedanken.
Aber warum sollte sie uns diese komischen Gestalten auf den Hals
gehetzt haben? Warum solch eine Lawine ins Rollen
bringen???
Kira: "Haben Sie den mit dem Cowboyhut
erkannt?"
Chris: "Nein."
Der große, bärtige,
schlacksige Bursche mit dem Cowboyhut? Woher sollte ich den kennen?
Mir fällt ein, dass ich ein paar Sekunden damit verbracht habe, an
der Echtheit seines Bartes zu zweifeln, aber bei der Fülle der
Ereignisse dieses Detail nicht weiter verfolgt habe. "Nein, aber ich
bin ganz Ohr."
Kira: "Das war Axel Bulthaupt."
Chris: "Ich bin baff. Alles Schauspieler?
Aber Kira, um alles in der Welt, wissen Sie überhaupt, was Sie mit
diesem Theater angestellt haben und vor allem, warum das alles?"
Damit erübrigt sich die Beantwortung der Frage: Warum war die
Polizei vor der Gutenberg Galerie so aktiv. Das war ein zufälliges
Zusammentreffen, hatte mit unserem Besuch nichts zu tun.
Kira, ziemlich kleinlaut: "Darum rufe ich ja
an. Glauben Sie mir, ich wollte etwas Gutes bewirken, Harry Wenzel
überraschen, mich bei ihm bedanken."
Chris: "Indem Sie ihm und uns einen falschen
Bill Gates auf den Hals hetzen?"
Kira: "Wie kommen Sie darauf? Es ist wirklich
Bill Gates."
Chris: "Waaas"
Kira: "Nicht der echte Bill Gates, aber das
einzige weltweit anerkannte Double von Bill Gates."
Chris: "Wenn ich bitten darf, alles langsam
und der Reihe nach."
Kiras tolle Idee beinhaltet, sich beim Club, im Besonderen
aber bei Harry Wenzel zu bedanken:
Axel Bulthaupt moderiert beim MDR "Sonntag - Die
Show der Überraschungen".
In dieser Sendung wird Menschen öffentlich ein
Dankeschön ausgesprochen, die sich durch nicht alltägliches
Verhalten auf besonders uneigennützige und lobens- wie liebenswerte
Weise auszeichnen, indem sie Gutes tun für Mitmensch, Mitgeschöpf
oder Umwelt. Zum Wesen der Sendung gehört, dass der Kandidat von der
ganzen Sache nichts ahnt und ihm erst auf der Bühne vor versammeltem
Publikum Aufklärung zuteil wird.
Die Dramaturgie sah bis dato vor, alle Clubmitglieder in Ahnungslosigkeit zu belassen und mitsamt der
Hauptperson, also unserem Vorsitzenden Harry Wenzel, auf die Bühne
zu befördern.
Um das zu bewerkstelligen war folgendes
geplant:
- Der (voll daneben gegangene) Sicherheitscheck,
der uns auf die berühmte Persönlichkeit einstimmen sollte.
- Ein kurzer Besuch des Gates-Doubles bei uns im
Club mit Einladung zu einer besonderen Präsentation.
- Transport der ahnungslosen Clubmitglieder zur
Media-City direkt in Axel Bulthaupts Sendung.
- Als Dank für alles ein Präsent für alle
Clubmitglieder.
Kira verrät mir auch den Preis, den ich so toll
finde, dass ich sofort bereit bin alles zu tun, was in meinen
Kräften steht, um die Eskalation der Situation zu
verhindern.
Chris: "Die Idee ist prima. Dafür bin ich zu haben."
Die Gefahr, dass die schöne Idee zur
Seifenblase wird und platzt, besteht momentan jedoch akut.
Nach den Ereignissen am Dienstag hat sich Harry
nämlich an die vermeintliche Agentur Wolf (in Wirklichkeit Leute vom
MDR) mit einer massiven Beschwerde zum skandalösen Auftritt der
Security-Leute gewandt, eine Entschuldigung und die Herausgabe des
Films gefordert. Auf dieser Beschwerde basierte auch Harrys Anruf
bei mir und allen weiteren Clubmitgliedern mit der Erkenntnis, dass
die Amis uns auf der ganzen Linie verklapst haben, wir aber so nicht
mit uns umspringen lassen.
Kira: "Ich habe schon ein paar Nächte nicht
geschlafen. Bitte helfen Sie mir."
Fest steht, die alte Dramaturgie (alle
Clubmitglieder sollen überrascht werden) ist nicht mehr zu halten
und in Teilen abzuändern. Wir müssen uns etwas Neues einfallen
lassen. Auch die Filmaufnahmen vom Dienstag können nicht für die
Sendung verwendet werden, da Harry sie mit dem Bannfluch belegt
hat.
Der neue Plan sieht vor:
- Ich weihe alle Clubmitglieder in den Plan, Harry
zu überraschen, ein. Alle Clubmitglieder werden zur absoluten
Verschwiegenheit verpflichtet und sind von nun an Mitspieler.
Damit ist zwar der massenwirksame Teil der Überraschung dezimiert,
aber, wer weiß...
- Am Donnerstag, den 20.4.06 treffen sich alle
Mitspieler 16.00 Uhr im Club.
Dem sicher erstaunten Harry
begründen wir unser Dasein damit, dass wir ihn in einer solchen
Situation nicht im Stich lassen.
- Kurz nach 16 Uhr erscheinen zwei Mitglieder der
vermeintlichen Agentur Wolf und entschuldigen sich bei Harry,
versichern ihm aber - nunmehr äußerst seriös -, dass die
hochrangige Persönlichkeit tatsächlich kommt und zwar in wenigen
Minuten.
- Es muss neues Filmmaterial erstellt
werden.
An die Arbeit. Ich rufe einen nach dem anderen
unserer Leute an, erkläre die Situation so weit es mir gestattet
ist, bitte alle, mir (und dem an sich Guten im Menschen) zu
vertrauen, unbedingt Harry gegenüber dicht zu halten, mit zu spielen
und auf das große Happyend gespannt zu bleiben.
Die größten
Schwierigkeiten bereitet mir Helga B., sie will mir partout nicht
glauben, vermutet, nun auch von mir veräppelt zu werden und droht
damit, mir die Freundschaft zu kündigen, wenn ich sie reinlege.
Nach
dem Telefonat wird sie meine Glaubwürdigkeit a.H. des
Fernsehprogramms vom Sonntag, den 23. 04. (dem Tag der
Ausstrahlung), kritisch prüfen und in etwas gemäßigtere Stimmung
verfallen.
Renate R. ist am Telefon recht einsichtig. Was ich zu
diesem Zeitpunkt nicht wissen kann, ist, dass sie mit ihrem Diethelm
eine ausgedehnte nächtliche Auseinandersetzung zum Für und Wider der
Aktion haben wird. Ist es nun sein noch immer verletzter Stolz oder
seine absolute Treue Harry gegenüber oder gar beides, was ihn so
skeptisch bleiben lässt? Ich kann nur Renates diplomatischem Geschick
vertrauen, ihren Göttergatten dazu zu verdonnern, erfolgreich den
Mund zu halten. Letztendlich setzen wir Frauen uns ja sowieso durch,
nicht wahr, lieber Diethelm?! Ich vertraue Renate.
Kira gewinnt neben mir Renate F., Thea G. und - neu
im Boot - unser Ehrenmitglied Prof. L. für ein Fernsehinterview, das Harrys
ehrenswerte Eigenschaften zum Inhalt haben wird. Kein Problem, zu
Harry lässt sich eine Menge sagen.
So weit, so gut. Die Frage
ist: Welche Hindernisse werden sich uns noch in den Weg
stellen?
Mittwoch, 19.4.
9.00 Uhr, es klingelt. Kira rückt bei mir
zu Hause - und damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet - mit dem
ganzen Camerateam an. Aber was soll's, es ist für Harry, für das
Gelingen der Sendung, für die schönen Stunden, die wir hoffentlich
gemeinsam verleben werden und die erstrebenswerte Belohnung für uns
alle...
Das Team zieht weiter, besucht Thea G. in
der orthopädischen Klinik - wir wünschen ihr gute Besserung -, so
dass sie ebenfalls in unser Vorhaben eingebunden ist, danach Renate
F. und am Abend unser Ehrenmitglied im Club, Prof. L. Hier kann man
fast von einem Überfall sprechen, das Team dringt in sein Heiligstes
ein, sein Arbeitszimmer. Das hat er noch keinem gestattet, wie er
uns später versichern wird. Ich glaube aber, der Professor und Kira
waren sich auf Anhieb so sympathisch, dass er ihr den kleinen
Überfall postum verziehen hat.
Jedenfalls ist das erforderliche
Filmmaterial für die Sendung am Abendt im Kasten.
Donnerstag, 20.4.
7.30 Uhr in der Frühe. Ich schlage die
Leipziger Volkszeitung auf und mich durchfährt es wie vom Blitz
getroffen. Was muss ich zur Kenntnis nehmen? Kann es solch einen
dummen Zufall überhaupt geben?
"Chinas Staats- und Parteichef bei
Bill Gates
SEATTLE. Der chinesische Staats- und
Parteichef Hu Jintao hat zum Auftakt seiner USA-Reise am Dienstag
den Software-Konzern Microsoft besucht.
Vor dem Werksgelände in Seattle
protestierten Demonstranten gegen Hus Besuch. Auf Plakaten forderten
sie die Volksrepublik China zu einem Ende der Zensur im Internet und
zur Freilassung aller politischen Gefangenen auf. Auch
vor dem Hotel, in dem die chinesische Staatsdelegation Quartier
bezog, versammelten sich hunderte Demonstranten, darunter auch
Anhänger der in China verbotenen Meditationsbewegung Falun
Gong.
Bei seiner Begegnung mit
Microsoft-Gründer Bill Gates bekräftigte der chinesische
Staats- und Parteichef die Absicht, verstärkt gegen Produktpiraterie
vorzugehen. Kürzlich hatte die Regierung in Peking erklärt, dass
künftig alle Computer in dem asiatischen Land mit einem speziellen
und lizenzierten Betriebssystem ausgestattet sein müssen. Dafür soll
auch Windows-Software von Microsoft gekauft werden.
(apa/nachrichten.at)"
Mein erster Gedanke: 'Jetzt pfuscht uns
auch noch die Weltpolitik ins Handwerk. Dienstag der chinesische
Staatspräsident bei Bill Gates in SEATTLE - Donnerstag Bill Gates
bei Harry Wenzel in LEIPZIG. Mein Gott! Wenn Harry die Zeitung
liest oder Radio hört, dann ist alles gelaufen, dann kauft er uns
den Bill-Gates-Besuch heute Nachmittag in der Gutenberg Galerie nie
und nimmer ab. Dann endet alles im Chaos. Jetzt hilft nur noch
beten.
Ich rufe Kira an. Sie und die Leute vom
MDR wissen es schon.
Kira sagt: "Wir sind gerade dabei, das
Bill-Gates-Double vom Flugplatz (wurde extra für Harry aus London
eingeflogen) abzuholen. Was auch immer passieren wird, es ist nicht
mehr zu ändern."
Heute Abend soll die Show aufgezeichnet
werden. Am Sonntag, den 23.04. wird sie zur besten Sendezeit, 20.00
Uhr, vom MDR ausgestrahlt.
Der Countdown läuft ...