Donnerstag, 20.4
15.45 Uhr in der Gutenberg
Galerie - das Vorspiel zum
Countdown
Harry Wenzel will sich mit Vertretern der
(vermeintlichen) Agentur Wolf in der Gutenberg Galerie
treffen. Er weiß nicht, dass wir alle da sind und gespannt der
Dinge harren, die da auf uns zu kommen werden.
Wir sitzen erwartungsvoll im Vorraum der
Begegnungs- und Bildungsstätte "Aktives Alter - neue Medien". Im
Seminarraum findet z.Z. noch ein Kurs von Dr. Jürgen B. statt.
Anwesend sind: Prof. L., Margot und Günther S., Helga und Frieder
B., Renate und Diethelm R., Renate F., Ingrid S., Volkmar G. und
ich.
Punkt 16.00 Uhr taucht Harry auf.
Erste Verwunderung von seiner Seite. Warum sind alle da? Die
Erklärung ist eindeutig: "Harry, wir lassen dich nicht in Stich."
Hürde genommen, Harry kauft es uns ab.
16.10 Uhr tauchen zwei korrekt gekleidete Herren im dunklen Anzug
von der (angeblichen) Agentur Wolf auf und wünschen Herrn Harry
Wenzel zu sprechen. Einer davon ist uns bereits aus der missglückten
Security-Show bekannt. Harry weiß natürlich auch sofort Bescheid -
aha, der Agenturchef Wolf persönlich! - und zeigt ihnen erst einmal
die kalte Schulter, sprich, er lässt sie warten und unterhält sich
mit uns. Ein bisschen Einsehen zeigen die Männer, bitten aber Harry
unmissverständlich um ein Gespräch unter vier Augen. Sie
verschwinden in einem der Seminarräume.
Inzwischen hat Dr. Jürgen B. seinen
Unterricht beendet, und wir wechseln in den frei gewordenen
Seminarraum, unseren Clubraum.
Einige Minuten gespannten Wartens
vergehen. Dann taucht Harry sichtlich zufrieden wieder bei uns
auf.
Gespannt lauschen wir seinem Bericht.
"Also, die haben sich bei uns entschuldigt. Der Wolf hat zwei
seiner Mitarbeiter, den großen, langen mit dem Cowboyhut (Axel Bulthaupt - oh, wenn Harry das wüsste!) und den mit der Kamera
fristlos entlassen. Seine Firma wäre auch erledigt, wenn das
Verhalten seiner Mitarbeiter publik würde. So was kann er sich nicht
leisten. Er war richtig dankbar, dass ich ihn aufgeklärt habe. Die
Bänder werden wir wohl nie wiedersehen. Da kann schon längst eine
Kopie davon gezogen sein. Ja, das müssen wir in Kauf
nehmen"
Harry schweigt eine Weile nachdenklich,
dann holt er zu der entscheidenden Mitteilung aus: "Aber das andere
stimmt. Die hochrangige Persönlichkeit kommt uns besuchen. Sie kann
jeden Augenblick eintreffen." Davon aber lässt sich Harry längst nicht
mehr aus der Ruhe bringen, sondern beginnt seelenruhig, uns den
Gebrauch eines Forums zu erklären, das er neu in seine Homepage
eingebunden hat.
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Und dann passiert es.
Die Tür wird aufgerissen, ein Mann stürmt herein, gefolgt von
einem Dolmetscher und einem Kamerateam. Neben der Tür
postieren sich zwei stämmige Bodyguards. Der Mann dreht eine
schnelle Runde durch den Raum und bleibt vor Harry
stehen Er trägt eine helle Hose, ein blaues Hemd und einen
beigefarbenen Pullover, lässig über die Schulter geworfen,
wahrhaftig, so steht er vor Harry - |
smart und (in Anbetracht der
angespannten Situation) unverwechselbar ein Volltreffer: Bill Gates.
Die Überraschung ist gelungen. Harry ist
denn doch verblüfft. Dieser Moment muss zu einem schnellen Gespräch
genutzt werden. Das hat der Dolmetscher perfekt im Griff. Er hält
das Gespräch flüssig am Laufen.
"My name is Wenzel, Harry Wenzel", stellt
sich Harry vor.
Na prima, er ist sich zwar nicht 100%
sicher, aber er beißt an, er hat heute morgen keine Zeitung gelesen,
kein Radio gehört, alles läuft bestens.
Bill erkundigt sich, ob wir Software von
Microsoft verwenden. Harry bejaht. Ob wir damit zufrieden sind?
Ja, sagt Harry, wir sind zufrieden, aber mit der Sicherheit gibt es
schon noch Probleme. Bill lächelt und versichert, dass er das weiß
und dass sie dran sind und das beheben werden. Dann möchte Bill
wissen, ob Harry uns Schulaufgaben aufgibt. Nein, lacht Harry, die
Zeiten sind vorbei, hier ist alles freiwillig. Plötzlich wird
Bill ein bisschen persönlicher und erkundigt sich, was Harrys
Bein macht. Diese Wende des Gesprächs verwundert Harry sehr, man
sieht es ihm deutlich an, aber er ist ein höflicher Mensch und
antwortet wahrheitsgemäß, dass er keine Beschwerden mit dem Bein
(welches auch immer, er hat zwei) hat. Was das Rheuma macht? Auch
jetzt bleibt Harry gelassen und versichert Bill, dass er
Gott-sei-Dank noch nie Rheuma hatte. Bill ist darüber sichtlich
erfreut, lacht und lädt Harry und seine Frau für den Abend zu einem
Event verbunden mit einer Präsentation ein. Harry sagt: "Es ist mir
eine große Ehre." Dann rauscht Bill mit seinem Tross zur Tür
hinaus.
Kurzes Durchatmen. Der Dolmetscher kommt
noch einmal zurück und verkündet, die Einladung gilt natürlich für
alle Clubmitglieder. 19.45 Uhr steht ein Bus vor der
Galerie, der uns abholen wird. Damit ist der Spuk erst einmal
beendet.
Eine perfekte Überrumpelung. Sehr gut
gespielt. Sicher hegt Harry noch immer Zweifel, ob das, was sich
soeben zugetragen hat, nicht doch eine neue Täuschung ist. Er stellt
sich Bill Gates geringfügig anders vor, nicht so kräftig, aber ganz
sicher ist er sich nicht...
"Wer will, kann heute Abend kommen", sagt
Harry. "Das ist jedem selbst überlassen. Jetzt machen wir hier erst
einmal mit unserem Stoff weiter. Also, wie gesagt, 19.30 Uhr
steht der Bus unten."
Wenige Minuten später meldet sich mein
Handy. Es ist Kira. Sie warten unten auf mich. Ich entschuldige mich
bei Harry: meine Tochter, es ist etwas Wichtiges, aber ich will
versuchen, heute Abend zu kommen. Und fort bin ich.
Ich fahre mit Kira, dem Dolmetscher und
dem Camerateam direkt zur Media-City, Studio 3. Dort läuft bereits
die Generalprobe. Ich bekomme einen Anhänger "Backstage" verpasst
und kann mich damit auf dem MDR-Gelände frei bewegen. Jetzt erst
erfahre ich, dass Axel Bulthaupt ein Interview mit mir führen will.
Ich schaue mir das Treiben in Studio 3 eine Weile an, entschließe
mich aber, Kira in den Schneideraum zu
begleiten.
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Auf dem Weg dorthin
gibt es ein Wiedersehen mit Bill Gates alias Geoffrey Reed. Er
sitzt zusammen mit zwölf müffelnden Igeln, die abends
ebenfalls in der Show gezeigt werden sollen - ein nettes,
älteres Ehepaar lebt mit 80 Igeln zusammen -, in einem Raum
und wartet auf den Beginn der Show. Ich habe es besser. Im
Schneideraum sehe und höre ich eine Menge, alles rund um den
Filmschnitt, den Text, die Musik - ein Drehbuch entsteht! Es
wird sehr konzentriert gearbeitet. Trotzdem nimmt sich Kira
Zeit für einen Besuch im Übertragungswagen, quasi dem Herz des
Ganzen. Das ist alles sehr interessant. Plötzlich fällt mir
ein, dass Harry unseren |
Leuten gesagt hat, der Bus steht 19.30
Uhr vor der Gutenberg Galerie. Jetzt bloß keine Missverständnisse
mehr. Der Bus muss 15 Minuten eher als offiziell geplant vor der
Galerie stehen. Nicht auszudenken, wenn die Theorie vom
Veralbertwerden wieder Oberhand gewinnt und Harry die Aktion kurzer
Hand abbricht und nach Hause geht. Kira nimmt sich der Angelegenheit
sofort an. Kein Problem.
In dem Moment denkt keiner daran, dass 15
Minuten eine lange Zeit sein kann, wenn sie einfach tot geschlagen werden muss, weitere Irritationen
sind vorprogrammiert.
Wird der Countdown
gelingen?
Donnerstag, 20.4.
Vor der Gutenberg Galerie 19.30
Uhr Alles exakt geplant, der
Minibus ist pünktlich da, die Clubmitglieder steigen ein. Es wird
ein bisschen eng im Bus. Auch kein Problem. Für Prof. L. wird ein
schwarzer Mercedes bereit gestellt. Und ab geht die Fahrt in
Richtung Media-City. Aber nicht auf direktem Weg. Der 15 Minuten
wegen. Die Fahrer (mit dem unsichtbaren kleinen Knopf im Ohr), wenig
gesprächig, ersinnen Verzögerungen (Geldwechsel, Umwege). Prof. L.
kommen Zweifel am Ziel der Fahrt. Sollte er etwa statt - wie
vereinbart - zur Media-City ins nahe gelegene Rotlichtmilieu
chauffiert werden?
Vor der Tiefgarage der Media-City hält
der Bus. Warum fährt er nicht weiter? Vielleicht ist die Garage
überfüllt? Ein Auto kommt heraus. Der Bus bleibt stehen. Die
schwarze Limousine mit Prof. L. kommt heran gefahren. Der Professor
wird zum Aussteigen aufgefordert und genötigt, sich als vierter auf
die hinteren Sitze im Minibus quetschen. Sehr eigenartig das Ganze.
Endlich geht es weiter, kreuz und quer über das MDR-Gelände.
Schließlich wieder Stillstand. Vor dem Bus ein großes verschlossenes
Tor...
Media-City, Studio 3 19.45 Uhr Das Studio hat sich mit Besuchern gefüllt. Alle
Plätze sind belegt. Mir wird ein vorbestimmter Platz zugewiesen,
wegen des Interviews. Von meinen Clubfreunden keine Spur. Sollte
etwas schief gelaufen sein? Ich werde unruhig. Der Anheizer kommt,
das Klatschen wird geübt, Standing Ovations geprobt und aufgenommen
|
Punkt 20.00 Uhr
erscheint Axel Bulthaupt.
Die Show beginnt. Nach
einer Tanzeinlage (Let's dance lässt grüßen) erscheint Harry
Wenzels Internetportal auf der Leinwand. Als sei alles o.k.
erzählt Axel Bulthaupt von Harrys vielen guten Taten im Club
und in der Bildungs- und Begegnungsstätte "Aktives Alter -
neue Medien", aber kein |
Harry, kein Clubmitglied - außer mir -
ist im Studio. Dann sitzt Axel Bulthaupt plötzlich neben mir,
das Interview beginnt. Himmel - wo bleiben die nur
alle?
20.15
Uhr Das große Studiotor öffnet sich. Der Minibus fährt
direkt auf die Studiobühne. Im gleichen Augenblick wird die
erste Reihe geräumt. Die besten Plätze für die
Neuankömmlinge. Dann klettern die eingepferchten
Clubmitglieder mehr oder weniger verdutzt dreinblickend aus
dem Bus, am verwundertsten natürlich unser Harry, die
Hauptperson. Er hat absolut keine Ahnung, was auf ihn zukommt.
Alle haben dicht gehalten.
Noch ehe Harry Wenzel seinen
Platz |
|
einnehmen kann, wird er von Axel
Bulthaupt zur Interviewcouch geführt. Bill Gates sitzt auch schon
dort. Was für ein Wiedersehen!
|
Während alle im
Studio darüber aufgeklärt wurden - schon wegen möglicher
rechtlicher Konsequenzen -, dass Bill
Gates von Geoffrey Reed aus London gedoubelt wird, muss Harry
Wenzel noch eine Weile, total aus dem Stehgreif, Rede und
Antwort stehen. Und das tut er mit Bravour! Dann
folgt auch für ihn Aufklärung. Axel Bulthaupt spricht im Namen
all derer den Dank aus, denen Harry Wenzel mit seinem
umfangreichen Wissen in Sachen Computer, Internet und Co auf
die Sprünge geholfen hat, uneigennützig, geduldig und ohne
dabei auf die Uhr zu sehen.
Als besonderes Dankeschön bekommt
Harry Wenzel eine Reise für ein verlängertes Wochenende nach
München geschenkt, Stadtrundfahrt und Besuch im Computermuseum
|
mit inbegriffen.
Und das Tolle daran ist: alle
Clubmitglieder dürfen mit auf Reisen gehen.
Die Clubreise nach München ist in
der ersten Septemberwoche geplant. Wir freuen uns
darauf.
Was könnte unsere Freude jetzt noch
verdoppeln? Natürlich der echte Bill Gates. Wir hoffen doch
schwer, dass er - sollte er Deutschland noch einmal besuchen - beim Senioren-Internet-Club Leipzig vorbeischaut. |
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Unmöglich?
Geoffrey Reed hat dafür eine Antwort: "There is a thin line
between genius and insanity - we erase that line."
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