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Anekdoten über und um ein mathebegeistertes Vorschulkind
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Leistung wird belohnt |
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Jan ist noch vier, er möchte gern fünf
Jahre alt sein. Ein paar Monate fehlen noch. Er
ist für sein Alter recht klein und zierlich. Der Größe nach könnte
man ihn für jünger halten. Schaut man ihm ins Gesicht, spricht das
für adäquate geistige Reife.
Jan hat ein Faible für Zahlen. Besonders für große Zahlen. Das ist
keine Angeberei. Dafür kann er nichts. Das Gespür für Zahlen hat er geerbt.
Wir besuchen die Freizeitmesse in Leipzig. Jan trägt einen großen
Beutel in der Hand und sammelt Werbegeschenke ein, insbesondere die
kleinen Beutelchen mit je fünf, sechs Gummibärchen drin. Die benötigt er
dringend. Nicht für sich persönlich, sondern als Proviant für seine
ständig wachsende Schar Playmobilritter. Deren Versorgungsdepots können
nicht voll genug sein.
Mit der Zeit lässt sein Interesse aber nach, und er möchte am
liebsten nach Hause. Ich aber habe noch einiges vor.
In zwei anderen Messehallen findet zeitgleich eine Immobilienmesse
statt. Da will ich unbedingt noch hin. Jan trottet lustlos neben mir
her.
"Dort sind nicht so viel Leute wie hier und bestimmt gibt es da auch
Gummibärchen." Ich versuche ihn zu locken.
"Wirklich?" Jan schaut ungläubig drein.
"Bestimmt", verspreche ich.
Wir inspizieren die Stände. Jan missmutig, ich zunehmend auf
Gummibärchen Ausschau haltend. Keine Gummibärchen
in Sicht. Kugelschreiber, Schlüsselbänder und Energiespender in Form
von Traubenzucker interessieren Jan nicht.
Dann endlich der ersehnte Lichtblick. Ein großer Stand baut sich vor
uns auf: enviaM. Auf dem Tresen liegen sie. Ein ganzer Teller voll.
"Wie kriege ich die nun?" fragt Jan. "Oma, geh du hin."
"Ich? Nein. Du willst doch etwas."
"Und wenn sie mir keine geben, bist du schuld."
"Vielleicht bietest du ihnen eine Gegenleistung an. Für nichts
gibt's gewöhnlich nichts."
"Was ist'n das - Gegenleistung? Was soll ich denn machen?"
"Denk nach. Nur Mut!"
Jan denkt nach, die Gummibärchen im Visier. Dann entscheidet er sich
für einen jungen Mann als Ansprechpartner, den jüngsten der sonst am
Stand anwesenden eher älteren
Herren, und geht zielsicher auf ihn zu.
Ich halte einem gewissen Abstand ein, bin aber so nahe dran, dass
ich das nun folgende Gespräch, das vorwiegend von Jan bestritten
wird, mitbekomme.
"Guten Tag."
Keine Reaktion. Jan wiederholt zweimal. Der Standmann guckt einen
Moment, jedoch ohne
Interesse zu ihm runter.
"Darf ich die Gummibärchen haben." Jan zeigt auf den Teller. Er ist
sich seiner Sache nicht sicher. Die Fragerei ist ihm auch ein wenig
peinlich.
"Als Essen für die Ritter", fügt er
ergänzend hinzu.
Der Standmann greift gelangweilt nach einem der kleinen Päckchen.
"Ich zähle dafür auch von 1 bis 100", tönt es von unten nach oben."
Jan hat das Leistungsprinzip verinnerlicht.
Die Hand des Standmanns verharrt eine Weile über dem Teller. Er
guckt sich den Knirps genauer an. Jan denkt, er muss mehr bieten, von
1 bis 100 reicht als Gegenleistung für die Gummibärchen nicht aus.
"Ich kann auch von 100 rückwärts zählen. 100, 99, 98, 97, 96, 95..."
"So viel Zeit, um uns das anzuhören, haben wir hier nicht", sagt der Standmann.
Endlich eine Reaktion. Jan wird wahrgenommen. Und der Mann hat Recht,
von 100 bis 1 dauert wirklich schrecklich lange.
"Dann mache ich es kürzer", sagt Jan erleichtert. "100, 90, 80, 70,
60, 50, 40, 30, 20, 10, 1."
Das überzeugt.
Anschließend gibt Jan sein erstes Interview. Der Standmann
interessiert sich urplötzlich für seine Playmobilritter. Jede Menge
Gummibärchen, nicht nur die vom Teller, landen in einem Beutel und
der Beutel in Jans Hand.
In Hochstimmung und um eine grundlegende Erfahrung reicher verlässt
er den Stand. |
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Späte Rache |
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Jan hat etwas Zoff mit seinem Papa. Ihm
schwillt die Zornesader. Er widerspricht. Er wirft sein Spielzeug in
die Ecke.
"Schluss jetzt!" befiehlt der Papa. "Geh auf dein Zimmer und melde
dich erst wieder, wenn du ruhig geworden bist."
"Ich bin ruhig", grollt Jan und trottet die Treppe hinauf. Die
Zimmertür schlägt zu. Eine Weile hört man nichts von ihm. Dann
plötzlich ertönt vom oberen Treppenabsatz eine empörte Knabenstimme:
"Warte nur, Papa, wenn ich groß bin, dann finde ich eine Zahl, eine
Zahl so groß, wie du sie überhaupt nicht denken kannst." Tür wieder
zu. Ruhe. |
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Zähl mal bis 100 |
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19:00 Uhr ist durch. Jan hat gerade den Sandmann geguckt.
Jetzt soll er sich waschen und zu Bett gehen. Die Mama hat schon
dreimal gerufen. Jan möchte sich sehr gern noch einen kleinen Film
ansehen. Aber wie die Zeit dafür rausschinden?
"Papa, ich glaube, ich habe ein paar Zahlen vergessen. Zähl doch mal
von 1 bis 100."
"Jan, komm endlich", ruft die Mama.
"Er kommt gleich", ruft der Papa zurück. "Wir machen nur noch etwas
Mathematik."
Mathematik ist das Zauberwort. Und bereitwillig beginnt der Papa zu
zählen. Wenn man langsam und deutlich spricht, damit ein
mathebegeistertes Vorschulkind einem folgen kann, benötigt man von 1
bis 100 ungefähr vier Minuten. Und die sind irgendwann um. Nur der
Film nicht.
Jan sieht seinen Papa mit einem von Wissbegierde erfüllten Blick an.
Hoch lebe die heilige Mathematik!
"Und jetzt bitte noch einmal."
Der Papa zählt tatsächlich noch einmal von 1 bis 100. Jan gehören gefühlte
vier Minuten, um sich seinen Film - hoffentlich - bis zum Ende
anschauen zu können. |
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Liebesentzug |
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Jan steht an der Tür. Er wird gleich
abgeholt. Man sieht ihm an, dass er noch etwas loswerden will. Er
macht ein betretenes Gesicht. Es scheint nichts Erfreuliches zu
sein.
"Oma, ich muss dir leider etwas sagen."
"Raus damit."
Jan zögert, aber er hat es sich zurecht gelegt und will es
loswerden.
"Ich muss dir sagen, dass ich den Opa etwas lieber habe als dich."
"Das kann ich nicht glauben."
"Doch, musst du."
"Gibt es einen Grund dafür?"
"Ja."
In dem Moment klingelt es. Die Mama steht unten. Jan saust die
Treppe runter, erleichtert, sich meinen Fragen nicht stellen zu
müssen.
"Wir telefonieren heute Abend, da sagst du mir, dass das hoffentlich
nicht stimmt", rufe ich ihm hinterher.
Am Abend klingelt das Telefon. Jan ist am Apparat.
"Jan", sage ich erfreut, "du hast es dir sicher anders überlegt."
"Nein Oma, damit musst du jetzt leben."
"Dann sage mir bitte den Grund dafür. Ich muss es wissen."
"Oma, der Grund ist, dass der Opa immer alles macht, was ich sage.
Und du nicht." |
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MiniGauß |
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Die Zeit vor dem Schulanfang nutzen wir
für eine kleine Reise gemeinsam mit unserem Enkelkind. Wir fahren
nach Thüringen in meine Heimatstadt. Dort finden gerade
Meisterschaften im Segelfliegen statt. Jan findet das toll. Spontan
regt sich in ihm der Wunsch,
auch Segelflieger werden. Ein Mann, der zufällig neben ihm
steht, bestärkt ihn in seinem Vorhaben. Da es heftig zu regnen
beginnt, fällt der gebuchte Flug aus. Jan ist enttäuscht.
Abends sitzen wir in einem griechischen Restaurant und warten auf
das Essen. Damit die Zeit nicht so lang wird, hat Jan immer etliche
Spiele dabei. Momentan sind Zauberkunststücke aktuell. Unter anderem
hat er Tabellen dabei, die es ihm ermöglichen, nach einem bestimmten
Auswahlverfahren und ein bisschen Rechenleistung eine Zahl zwischen
1 und 63 zu erraten. In der Regel kommen die Leute nicht dahinter,
wie das funktioniert und sind verblüfft. Solche Momente weiß Jan zu
genießen. Sein Geheimnis hütet er mit Bedacht.
Nachdem Jan die freundliche Bedienung mit seinen Tricks erfolgreich
von der Arbeit abgehalten und die dem Küchenchef von seinen Aktivitäten berichtet hat, bekommt er erst einmal einen Kindersekt
spendiert. Jan ist begeistert.
"Zeig mal dem Herrn dort hinten dein Kunststück", fordert
die Bedienung Jan auf. "Dem
kannst du bestimmt nichts vormachen. Der ist in solchen Sachen
schlauer als ich."
Jan schaut sich um. Es ist der Mann vom Flugplatz. Er erkennt ihn
sofort und hält ihn für ein brauchbares Opfer seiner Künste. Sofort
macht er sich auf den Weg.
"Der ist gescheit", flüstert uns die Bedienung zu. "Der ist
Fluglehrer."
Der Mann lässt sich auf den Knirps ein. Schließlich ist er ja
Lehrer. Es folgt eine längere Debatte, deren Inhalt wir nur erahnen
können.
Jetzt sieht es so aus, als hätte der Mann Jan eine Frage gestellt.
Jan denkt nach. Er spreizt zuerst den Daumen ab, dann den
Zeigefinger, den Mittelfinger, den Ringfinger, den kleinen Finger.
Es folgt noch ein konzentrierter Moment des Nachdenkens, dann brüllt
er: "Fünfundfünfzig."
Die Männer am Tisch klatschen Beifall. Der Fluglehrer schenkt Jan
einen Euro als Belohnung für die Fünfundfünfzig und sagt in unsere
Richtung. "Das ist ein Minigauß. Mit dem werden sie in der Schule
ihren Spaß haben."
Jan kommt zu uns an den Tisch zurück. Wir sind neugierig und möchten
gern wissen, was es mit den abgespreizten Fingern auf sich hatte.
"Der hat gesagt, ich soll die Zahlen von 1 bis 10 zusammenzählen."
"Und? Hast du?"
"Ja."
"Wie hast du das gemacht?"
"10." Daumen hoch. "1+9." Zeigefinger hoch. "2+8." Mittelfinger
hoch. "3+7." Ringfinger hoch. "4+6." Kleinen Finger hoch.
"Sind fünf Zehner", erklärt Jan, "und beinahe hätte ich die Fünf
vergessen."
An diesem Abend nimmt Jan mit seinen Spielchen zu seiner und der Gäste Freude ganze zehn
Euro ein und hätte sein Geschäft weiter ausgebaut, wenn wir nicht
eingeschritten wären.
In der Folgezeit müssen wir strikt darauf achten, dass er der
Menschheit seine Kunststücke nicht für Geld anbietet. |
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Schultauglichkeit |
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Jan ist mit seiner Mama beim Schularzt.
Er ist eine Sie. Sie stellt Jan einige Fragen, die er bereitwillig
beantwortet. Jan mag Frage-Antwort-Spiele. Und in die Schule will er
auch endlich gehen. Das möchte er sich hier nicht vermasseln.
"Kannst du auch schon zählen?"
"Ja."
"Von eins bis zehn?"
"Ja."
"Dann zähl mal."
Ob die Ärztin ihn wohl verklapsen will? Die Frage erscheint ihm ein bisschen zu einfach.
Etwas mehr und etwas schwieriger könnte es schon sein.
"Soll ich auf deutsch oder auf koreanisch zählen?"
"Wieso auf koreanisch? Hast du einen koreanischen Vater?"
"Nein."
"Warum willst du dann auf koreanisch zählen?"
"Nur so."
"Zähl wie du willst."
"Hanna Dul Set Net Dasut Josut Ilgop Yodul Ahob Yul."
Keine weiteren Fragen. Die Ärztin reicht es, sie ist zufrieden. Jan ist
schultauglich.
"Darf ich dich auch was fragen?" Jetzt ist Jan dran. Er
holt zum Gegenschlag aus.
"Ja."
"Dann sag mir mal, wie viele Nullen eine Oktillion hat?"
Die Ärztin ist überrascht. Damit hat sie nicht gerechnet.
"Irgend etwas mit acht?" Sie ist sich nicht sicher.
"Nicht ganz schlecht", sagt Jan. "Es sind 48 Nullen."
Was die Ärztin nicht weiß: Jan trainiert seit einem Jahr Taekwon-Do.
Da wird auf Koreanisch unterrichtet. Und - wie bereits erwähnt - er
hat ein Faible für große Zahlen. Er weiß auch, wie viele Nullen eine Dezilliarde hat, nämlich 63. |
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Zu zweit ist alles halb
so schwer |
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Jan ist mit seiner Vorschulgruppe
unterwegs. Heute soll die Schule besichtigt werden. Der größte Teil
der Kinder wird hier gemeinsam die 1. Klasse besuchen. Jans Freundin
Dana trottet neben ihm her.. Sie gehen Hand in Hand. Dana ist ein paar Monate jünger
als Jan, dafür aber mindestens einen halben Kopf größer und von der
Schule nicht halb so begeistert wie er. Jan bemerkt ihr Zögern,
drückt fürsorglich ihre Hand und sagt: "Komm nur Dana, zu
zweit schaffen wir die Schule schon." |
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Freundschaft |
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Einschulungstag. Die Kinder sind das
erste Mal in ihrem neuen Klassenzimmer. Es ergibt sich die Frage:
Wer sitzt neben wem? Jan hat viele Freunde, aber drei beste Freunde:
Dana, Nico und Tom. Tom ist ein Junge mit schönen Mandelaugen
und vietnamesischen Wurzeln. Während Dana und Nico sich nicht einig
werden können, greift sich Tom den noch unbesetzten Stuhl und sagt zu Jan: "Jetzt
sitze ich hier. Ich bin auch dein Freund." |
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Grenzen der Freundschaft |
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Zwei Drittel des ersten Schuljahres
sind fast um, da steht ein Lesewettbewerb an. Viele wollen
teilnehmen, zwei dürfen nur. Die Klasse entscheidet sich für Jan und
Tom. Jan ist Feuer und Flamme. Er will eine gekürzte Fassung der
"Bremer Stadtmusikanten" vorlesen und übt fleißig. Wir geben gute
Ratschläge: Laut, deutlich und langsam sprechen, auf die Betonung
achten. Es dauert nicht lange, da kann Jan das Lesestück auswendig,
und er betont wie ein Profi.
Die Stunde des Wettbewerbs ist angebrochen. Jan ist als erster dran.
Die Stadtmusikanten sind nicht zu toppen. Das Publikum reagiert so
enthusiastisch, dass die Direktorin mehrfach zur Ruhe mahnen muss.
Danach kommt ein unbekannter Text dran. Jan kommt so halbwegs über
die Runden.
Jetzt marschiert Tom nach vorn. Er hat sich für ein Lesestück aus
dem Schullesebuch entschieden. Er liest fließend. Leider sehr leise.
Auch den unbekannten Text liest er gut, leider wieder zu leise.
Die Jury besteht aus zehn Kindern der Klassen eins bis vier. Sie
entscheiden sich für Jan als Sieger. Tom wird zweiter. Obwohl beide
einen Preis bekommen und beide ausreichend gelobt werden, füllen
große, dicke Tränen Toms Augen. Niedergeschlagen kehrt er auf seinen
Platz zurück. Jan versucht ihm klar zu machen, dass er der
zweitbeste Leser der Klasse ist und das eine tolle Sache ist,
aber das tröstet Tom nicht.
Als nächstes kommt die Aufforderung zur 1. Matheolympiade. Wieder
sind es Jan und Tom, die die Teilnahmebedingungen erfüllen. Wieder
ist es Jan, der Tom den Siegerplatz wegschnappt.
Wir alle freuen uns über Jans Sieg, sind aber voller Mitgefühl für
den zweitplatzierten Tom.
"Jan, eigentlich solltest du Tom auch einmal gewinnen lassen."
"Nein."
"Aber ihr seid doch Freunde."
"Ja und ich tu auch was für ihn."
"Was tust du denn für ihn?"
"Ich gratuliere ihm immer ganz herzlich zum zweiten Platz." |
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Berufswunsch |
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Tom ist ein guter Schüler. Seine aus
Vietnam stammenden Eltern haben sich getrennt. Er bewohnt mit seiner Mama eine
Zweizimmerwohnung. Toms Mama arbeitet fleißig. Tom soll es einmal
besser haben als sie, und als Startpunkt in ein besseres Leben soll
er später unbedingt das Gymnasium besuchen.
Tom ist das erste Mal bei Jan zu Besuch. Staunend nimmt er das Haus
in Augenschein. Am meisten haben es ihm die Toiletten angetan, eine
im Keller, eine im Erdgeschoss, eine im Ober- und eine im
Dachgeschoss. Er ist beeindruckt und beginnt seinen Rundgang von
Neuem, inspiziert jede Toilette. Jan begleitet ihn gelangweilt. In Toms Brust
aber reift eine Frage, die seinem Leben Richtung geben könnte. Er muss sie stellen. Vier
Toiletten! Was muss man leisten, um es im Leben zu so vielen
Toiletten zu bringen?
"Was ist dein Papa von Beruf?"
"Mathematiker."
Tom stößt einen Seufzer aus, zählt im Geiste noch einmal die
Toiletten durch und sagt im Brustton tiefster
Überzeugung:
"Das will ich auch mal werden." |
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Jan als stolzer Verlierer |
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Wir sind mal wieder auf Kurzurlaub im
Thüringer Wald. Auf einer Wanderung gelangen wir zufällig zu einer
Jugendherberge, einer riesigen Anlage mit vielen Freizeitangeboten.
Zur Zeit finden hier die thüringischen Jugendmeisterschaften im
Schach statt. Dabei geht es ganz profimäßig zu. Jan saugt die
Wettkampfatmosphäre in sich auf. Er spielt auch Schach, sogar
ziemlich gut. Er möchte am liebsten in den Kampf einsteigen. Das
geht nicht. Nicht, weil er erst sieben ist, sondern weil er nicht
registriert und in keinem Verein organisiert ist. Er spielt nur ab
und an mit seinem Papa oder seinem Opa, aber er merkt sich die Züge. Jan wandert zwischen den Reihen
herum, schaut gebannt auf die Bretter. Es vergehen Stunden.
Dann stößt er - draußen im Freien - auf ein etwa 14jähriges Mädchen,
welches allein vor einem Schachbrett sitzt.
Ein Mann (wir erfahren später, dass er ein Großmeister ist)
bespricht mit ihr ein Spiel. Jan hört aufmerksam zu. Als der Mann
geendet hat, fragt er das Mädchen: "Spielst du mal mit mir?"
Das Mädchen hat nicht die rechte Lust dazu. Doch der Großmeister
ermuntert sie, dem Kleinen den Gefallen zu tun. Wird ja nicht lange
dauern.
"Spiel halt ohne Dame und ohne Turm", sagt er zu ihr.
Dame und Turm werden aus dem Spiel genommen. Das Spiel beginnt. Nach
wenigen Zügen wird das Mädchen unruhig.
"Gib mir meine Dame und meinen Turm wieder. Der ist zu gut."
Jan grinst. Dame und Turm kommen wieder zurück auf ihre Plätze. Jan
ist fest entschlossen, gegen das Mädchen zu gewinnen. Nach ca. einer
Stunden muss er aufgeben, er hat verloren. Das trifft ihn sehr.
"Weißt du überhaupt, gegen wen du gespielt hast?" fragt
ihn der Großmeister.
"Nein."
"Du hast gegen die thüringische Jugendmeisterin gespielt." Die
lächelt angespannt. Wie konnte ihr das passieren: mehr als eine Stunde
gegen so einen Dreikäsehoch...
Jan trägt es mit Fassung. Er hat zwar verloren - wer verliert schon gern? - aber gegen eine Meisterin,
mehr als doppelt so alt als er.
Das ist nicht die gewöhnliche Art des Verlierens, sondern eine höhere Art des Verlierens.
Wieder zu Hause berichtet er seinem Papa stolz: "Ich habe gegen die
Jugendmeisterin verloren, aber nur ganz knapp."
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Prosa |
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